Warum nicht Sinti und Roma als Sammelbegriff?
Weil das Wortpaar Sinti und Roma in der Regel als Sammelbegriff benutzt wird, entstehen in der Politik sowie in der Allgemeinheit des Öfteren Irritationen im Verständnis, wann Sinti, wann Roma oder wann beide Gruppen gemeint sind.
Der Öffentlichkeit wird damit suggeriert, dass es sich hier um eine ethnische Gruppe handelt.
Tatsächlich verhält es sich aber so, das Sinti, sowie Roma trotz (teilweise)gemeinsamen geschichtlichem Hintergrund, jeweils eigenständige und unabhängige Ethnien sind.
Ich glaube, niemand hat etwas gegen den Ausspruch Sinti und Roma, wen es sich z. B. um Berichterstattungen oder Ähnliches handelt wo es konkret um Beide Ethnien geht, das Zerrbild entsteht erst, wenn Ereignisse bei denen nur eine der Beiden Ethnien beteiligt ist und es Dennoch mit dem Wortpar Sinti und Roma benutzt wird.
Schon allein bei Familiären oder kulturellen Berichterstattungen Würde die Kultur, Sitten und Gebräuche der real Beteiligten Ethnie der nicht anwesenden übergestülpt werden.
Leicht nachzuvollziehen, dass dies weder Sinti noch Roma gerne möchten.
Autonom in ihrer jeweiligen Kultur, Sprache und Selbstverständnis, fühlt sich die Mehrzahl der Sinti als auch Roma durch den Austausch des Sammelbegriffs Zigeuner zum Sammelbegriff Sinti und Roma heutzutage nur diffus in der Öffentlichkeit wahrgenommen.
Obwohl keine legitimen Vertreter der Sinti anwesend waren, wurde bei dem ersten Treffen des Internationalen Romani-Kongresses (RIC) 1971 in London beschlossen, den Subjektbegriff Roma für alle, die unter den diskriminierenden Sammelbegriff (Zigeuner) standen, zu verwenden und damit alle konkurrierenden Fremdbezeichnungen abzulösen.
Das Wortpaar Sinti und Roma als Sammelbegriff
Endstand vermutlich als ungewollter Nebenprodukt aus den Ergebnissen des III Roma Weltkongreß 1981 in Göttingen.
Dieser Wurde ausgerichtet von der Gesellschaft für bedrohte Völker und den Verband Deutscher Sinti unter Romani Rose. Nach diesem Kongreß benannte sich der Verband um in Zentralrat deutscher Sinti und Roma. Mit der Sammelbezeichnung wurde nur im deutschsprachigen Raum diese Variante geschaffen - die anschließend falsch interpretiert wurde, nämlich, dass die Sinti eine Teilgruppe der Roma seien (in Bezug zum 1. und 2. Roma Weltkongress.
Bedenkt man wie viel Schwierigkeiten es heute noch der breiten Öffentlichkeit bereitet, die Gruppen der Sinti als auch der Roma, jede für sich als voneinander unabhängigen Ethnie zu begreifen, mag dieser Weg in den Anfängen der globalen Emanzipation der beiden Parteien, (als der Unwille der Mehrheitsbevölkerung, gegenüber den Rechten der Sinti als auch der Romagruppen noch groß war), durchaus sinnvoll gewesen sein.
Wen man aber davon ausgeht, das sich Mehr- und Minderheit seit dieser Zeit im gesellschaftlichen Verständnis und Bildung weiterentwickelt haben, sollte sich die jeweilige Mehrheitsgesellschaft heute zumuten können, ein Verständnis dafür zu entwickeln, das die heutige Emanzipation der Sinti und Roma es verlangt, aus den von außen konstruierten Schubfach zu entspringen und sich jeweils in der Welt, als das zeigen zu dürfen, was sie tatsächlich sind, nämlich eigenständige Ethnien, mit teilweise derart unterschiedlicher Kultur, Geschichte und Entwicklung das man sie nicht wie bisher in allen Belangen in einem Atemzug nennen kann.
An der gegenseitigen Solidarität ändert sich allerdings auch durch die Bemühungen, dass Sinti als auch Roma als eigenständige voneinander unabhängige Kulturvölker wahrgenommen werden wollen, nicht das Geringste.
Die gemeinsame Arbeit und gegenseitiger Unterstützung soll also auch weiterhin keine Brüche erleiden.
Mario Franz
1. Vorsitzender
Mehr zu diesem Thema:
Landesfachtag zur Teilhabe von Sinti und Roma in Niedersachsen
25. Oktober 2017 in Hannover ,Gedenkstätte Ahlem
Mario Franz, vom Verein Maro Dromm sui Generis, Vorstandsmitglied der Niedersächsischen Beratungsstelle für
Sinti und Roma e.V.
Impulsreferat :
Wichtigkeit gemeinsamer Arbeit in der Vielfältigkeit - bei Anerkennung der Heterogenität der Ethnien der Sinti und
Roma
Sinti, Roma, jeweils souverän und doch gemeinsam.
Sinti, Manouches, Cales, Roma; also alle prä-indo diasporischen Gemeinschaften, Ethnien u.s.w.,
stellen gemeinsam eine Art neo-indo europäische Gruppe dar.
Die Sinti als auch die Roma sind sich gegenseitige, wertvolle Verbündete und unersetzbare Partner.
Sie haben, was die Geschichte angeht, sehr vieles gemeinsam und ihre gegenseitige Solidarität ist
für Sinti, als auch für die Roma Gruppen, unverzichtbarer Bestandteil ihrer Existenz.
Und dennoch ist Solidarität nicht gleichbedeutend mit homogener Identität.
Das muss es auch nicht!
Denn was bisher von Sinti als auch von Roma nie wirklich nach außen getragen wurde und deshalb
der Mehrheitsbevölkerung auch kaum bekannt ist, ist die Tatsache, dass die Ethnie der Roma sich
nie als Sinti verstanden hat und versteht und ebenso wenig hat sich die Ethnie der Sinti jemals als
Roma verstanden und tut es auch heute nicht.
Das ist eine Tatsache, die nicht so einfach von der Hand zu weisen ist.
Um das zu erklären, bedarf es, zumindest an dieser Stelle, keiner wissenschaftlichen Abhandlung
von prähistorischen Begebenheiten oder Expertisen.
Es ist nur eine vernünftige Aufklärung mit einer Hand voll Fakten von Nöten.
Die Realität (in puncto Sinti) ist für interessierte Außenstehende nur sehr schwer zu erkennen, da
ihnen zum einen meist nur Dokumente und Aussagen zu Verfügung stehen, die aus der
Mehrheitsgesellschaft dominiert sind oder dem politischen Förderungswillen entsprechend
aufgehübscht wurden.
Also Defizite in der Aufklärung.
Warum dies Thema jetzt erst an die Öffentlichkeit getragen wird, hat mehrere Gründe.
Was Sinti betrifft, bin ich befugt einige zu nennen.
Unter anderem trägt dazu auch ein geschichtlich geprägter Aspekt der Sinti bei.
Denn durch die Jahrhunderte der Angst vor Verfolgung oder Repressalien und die andauernde
Erfahrung von Missinterpretationen, sowie mangelndes Interesse seitens der Mehrheitsbevölkerung
an den Belangen der Sinti, hat sich eine tiefe Abneigung, öffentlich in Erscheinung zu treten, sowie
ein beinah vererbter Unglaube an einen ehrlichen Beistandswillen der Mehrheitsbevölkerung in das
Bewusstsein der Sinti eingeprägt.
Dies führte zur Defensivität und Abkapselung, was wiederum unter vielem anderen, wie z.B. das
nach Anonymität streben vieler Sinti auch eine Unerfahrenheit und große Scheu sich in der Öffentlichkeit zu behaupten mit sich bringt.
Der angestaute Druck durch den fortlaufenden Souveränitätsverlust als eigenständige Ethnie, hat
zur Folge, dass sich zumindest die Sinti aktuell immer mehr von ihren politischen Vertretern
distanzieren und sich in zum Teil sehr großen internen Versammlungen dieses Themas annehmen.
Den Überbegriff Roma für Sinti zu verwenden, empfinden sehr viele Sinti, weil undemokratisch
zustande gekommen, als Beizeichnungsdiktatur.
Das haben Umfragen und Abstimmungen bei Sinti internen Versammlungen, mit zum Teil über 200
Teilnehmern, in den verschiedensten deutschen Städten ergeben, denen ich persönlich beigewohnt
habe.
In Deutschland wurden die Bezeichnungen Sinti und Roma, wenn auch falsch interpretiert, jedoch
zumindest als Wortpaar verwendet; im restlichen Europa tauchen Sinti durch ihre kleine Anzahl
eher selten als Begriff auf.
Aber auch hier in Deutschland, der eigentlichen Heimat der meisten Sinti, wird es immer mehr zur
Mode, in den Medien, sowie in der Politik und der Historie, die Sinti mit der Bezeichnung Roma
abzudecken.
Mit der paradoxen Behauptung: „Im Deutschen sind die Begriffe Sinti und Roma als Wortpaar zu
verwenden und im Englischen wird Roma für Roma aber auch für Sinti als Bezeichnung
verwendet.“
Indem man den Sinti den Überbegriff Roma diktiert, diktiert man sie zu einer Minderheit in einer
Minderheit, zur absoluten Mehrheit und dennoch verstehen sie sich selbst eben nicht als Roma; was
sie aber verstehen ist, dass der Druck auf die Existenz ihrer eigenen Identität ein nie dagewesenes
Ausmaß angenommen hat.
Das heißt, unterm Strich haben die deutschen Sinti Jahrhunderte dafür gebraucht, sich in einer
mehrheitlichen Dominanzgesellschaft und unter dem Zigeunersiegel als Sinti zu behaupten und
haben dafür, wie man weiß, nicht gerade selten und nicht nur mit ihrem Leben bezahlt.
Das alles, um in der Überschattung einer Mehrheitsgesellschaft als eigene Ethnie, trotz beinahe
Ausrottung und vom Aussterben bedroht, existieren zu können.
Die Sinti einer zusätzlichen Mehrheitsgesellschaft zu unterstellen, erzeugt einen Doppeldruck, den
die Sinti in ihrem, durch die NS-Zeit verursachtem desolatem Zustand (was Kultur, Sprache und
Identität angeht) nicht mehr viel entgegenzusetzen haben.
Es käme der Vollendung der sogenannten Endlösung gleich, denn was der versuchte Genozid an den
Sinti nicht ganz geschafft hat, (nämlich die biologische wie geschichtliche Auslöschung, eben auch
der Sinti) vollbringt der nach außen kaum wahrnehmbare Identozid, in Form von brachialer
Handhabe einer Begriffsdiktatur.
Dies sollte man nicht aus den Augen verlieren, wenn man dazu übergeht, den deutschen Sinti den
Überbegriff Roma als Schirm überzustülpen, der sehr wohl einen gewissen Schutz bietet, aber auch
auf lange Sicht die Sinti für die Außenwelt unsichtbar macht.
Die deutschen Sinti sind, trotz Jahrhunderte langer Ablehnung und Ausschluss seitens der
Mehrheitsbevölkerung, heimatverbunden mit Deutschland und nach über 600 Jahren tief
verwurzelter Geschichte eine urdeutsche Minderheit.
Das zeigt sich unter anderem darin, dass selbst die Nachfahren von Sinti die vor Jahrhunderten ins
Ausland ausgewandert sind, sich heute immer noch auf „Romenes“ als deutsche Sinti bezeichnen
und zum Großteil auch deutsche Nachnamen tragen.
Die Begriffe Sinti und Roma, werden in den Medien als auch in der akademischen Welt, also in
allen Veröffentlichungen als Sammelbegriff postuliert.
Dies war ursprünglich weder von der Gemeinschaft der Sinti noch von der Gemeinschaft der Roma so angedacht.
Wenn es um Darstellungen ausschließlich von Angehörigen der Sinti Gemeinschaft geht, und die Begriffe Sinti und Roma als Sammelbegriff benutzt wird, ist dies eine falsche Aussage und muss revidiert werden.
Genauso verhält es sich im umgekehrten Fall, wenn es um Darstellungen insgesamt um angehörige der Roma Gemeinschaft geht.
Ausschließlich wenn es konkret um beide Ethnien geht, dürfen die Begriffe Sinti und Roma als Doppelbegriff Verwendung finden, wie z.B. bei diversen Vereinigungen der Sinti und Roma, also an den Stellen, wo es tatsächlich um Sinti als auch um Roma geht, ist es selbstredend legitim.
Die Sinti fragen sich:
Wie ist es möglich, das auf einem demokratischen Kontinent wie Europa der heutigen Tage einer Jahrtausende alten Ethnie mit ebenso altem Kulturgut, (nur aus der Tatsache heraus), das sie eine lobbylose Minderheit darstellt, eine Bezeichnungsänderung ohne demokratischer Abstimmung, eben dieser Minderheit diktiert wird.
Wie gesagt:
Die Sinti, als auch Roma sind sich gegenseitige, wertvolle Verbündete und unersetzbare Partner.
Und ihre gegenseitige Solidarität ist für Sinti, als auch für die Roma-Gruppen unverzichtbarer Bestandteil ihrer Existenz.
Man sieht, es geht hier nicht um Trennung, sondern um Aufklärung, Klarstellung einer inhaltlich falschen Interpretation, die bei der Minderheit und Mehrheit, also innerhalb und außerhalb der Sinti, (also auch Roma Gemeinschaften) immer wieder zu Irritationen, mit oft folgenschweren Situationen, nicht nur bei Behörden, führt.
Eine fundierte und verbindliche Aufklärung an den maßgebenden Stellen ist bei diesem Thema unerlässlich.
Um dieses Konzept effektiv zu gestalten, sollte darauf geachtet werden, dass alle Beteiligten gemeinsam daran arbeiten, weil es immens wichtig ist, nach außen Solidarität zu zeigen und Trennungsinterpretationen Dritter vorzubeugen.
Nicht nur um dies auszuschließen, wäre es wert, eine Arbeitsgruppe aus kompetenten Mitgliedern bestehend zu gründen, um eine umsetzbare Agenda auszuarbeiten an der sich alle Interessierten orientieren können.
Der akademische Bereich der Mehrheitsgesellschaft, sowie die aktuellen sogenannten politischen Vertreter der Sinti, als auch der Roma haben dieses Thema eindeutig verschlafen.
Wenn diese Art Aufklärung keinen Einzug in die Politik erhält, wird ihr die Festigkeit fehlen in der Gesellschaft anzukommen.
Mario Franz
Vorstandsvorsitzender Maro Dromm Sui Generis e.V.
Vorstand Niedersächsische Beratungsstelle für Sinti und Roma